Baumeister Michael Thumb
Am Volutengiebel der Prälatur ist die Jahreszahl 1690 angebracht. Der um drei Fensterachsen vorstehende Mittelrisalit mit den Repräsentations- und Wohnräumen des Prälaten ist der letzte Neubau
der Bauvorhaben des Propstes Dyonisius an der dreiflügeligen Konventanlage. Der Bautrupp Thumbs unter der Leitung des Paliers Valerian Brenner beginnt bald nach 1670, dem Beginn der Arbeiten an
der Stiftskirche, mit den beiden Flügelverlängerungen. Der Ost- oder Gartenflügel, noch 1607−1617 aufgestockt, wird um sechs Fensterachsen oder 20 Meter nach Süden verlängert. Der zum Hof
gerichtete Südflügel, ebenfalls bis 1617 aufgestockt, wird um 17 Fensterachsen oder 60 Meter nach Westen verlängert. Beide Flügel erhalten abschliessende Ecktürme in Angleichung an den
Ostflügel-Eckturm von 1617, der jetzt mittlerer Fassadenturm wird. Die beiden Schaugiebel sind ähnlich der Kirchengiebel und gleich wie die Vorgängerbauten von 1617 als dreigeschossige Schweif-
und Volutengiebel ausgeführt. Mit der zehn Jahre jüngeren, 1690 an den alten Südflügel angefügten Prälatur wird Repräsentationswille gezeigt. Die Erschliessung dieses Mittelrisalites geschieht
durch den Umbau des bis 1670 den Südflügel abschliessenden Saales in einen Vorraum. Dieses sogenannte Vestibül bildet einen eigentlichen Verkehrs-Schaltraum in drei Richtungen. Im Äussern ist das
Prälaturgebäude durch Geschossteilungen mit Gesimsbändern, durch Fensterverdachungen im Wechsel von Segment- zu Dreieckgiebel und mit einem nun ausgeprägt barocken Schaugiebel mit kräftigen
Voluten als besonderes Gebäude hervorgehoben.
Die Stuckaturen der Konvent- und Gastflügel
Die Gänge, Vorplätze und die repräsentativen Räume sind mit prachtvollen und hochplastischen Stuckaturen versehen. Sie zeigen, beginnend im Kreuzgang und fortgesetzt in den Obergeschossen, die
Entwicklung des Wessobrunner Stuckes am Ende des 17. Jahrhunderts und markieren auch den Führungswechsel in Wettenhausen. 1692 tritt Friedrich I. Vogel die Nachfolge des verdienstvollen Propstes
Dionysius von Rehlingen an. Noch unter Propst Dionysius werden der Kreuzgang, die Gänge im Ostflügel und die Gänge der Obergeschosse im alten Teil des Südflügels stuckiert. In die Gewölbespiegel
des Kreuzgangs lässt er einen emblematischen Gemäldezyklus von 24 ovalen Deckengemälden malen. Auch für die stuckumrahmten freien Deckenspiegel der Obergeschosse gibt er das Thema der meist
allegorischen Gemälde vor. Als Maler werden Johann Georg Knappich und Paul Etschmann vermutet. Der Stuck dieser ersten Phase unter Propst Dionysius wird dem Wessobrunner Matthias Schmuzer II
zugeschrieben. Wie in der Kirche verwendet dieser das Akanthusmotiv anfänglich noch sehr zurückhaltend. Ein Wechsel findet in den Vorplätzen und den weiteren Gängen der Obergeschosse im Südflügel
und in der Prälatur statt. Deren Deckenstuck, nun unter der Regierung des neuen Propstes Friedrich I. Vogel von 1692 bis 1695 erstellt, verwendet das Motiv der Akanthuspflanze flächendeckend und
hochplastisch. Schön ist dies im Vestibül des ersten Obergeschosses zu sehen, das bereits voll dem plastischen Akanthus verpflichtet ist, während der durchlaufende Gang das Motiv noch recht
gezähmt verwendet. Beides sind hochbarocke Wessobrunner Arbeiten, einmalig, und zeigen den schnellen Wechsel der Wessobrunner zum expressiv hochplastischen Stuck, der mit den gleichzeitigen
Stuckaturen des Johann Schmuzer in der Abtei Wessobrunn verwandt ist. Als Meister werden Matthäus Gigl I und Hans Jörg Brix genannt. Matthäus Gigl I ist auch der Schöpfer aller
Stuckmarmorarbeiten. Brix, ein Schüler des inzwischen verstorbenen Matthias Schmuzer II, heiratet 1693 in Augsburg dessen Tochter. Er ist namentlich für die Stuckarbeiten in den Räumen der
Prälatur und in deren Vorplätzen des zweiten und dritten Obergeschosses erwähnt. Sein Hauptwerk in Wettenhausen ist der Deckenstuck des Kaisersaals.
Der emblematische Gemäldezyklus im Kreuzgang
1653 erscheint in Mailand das umfangreiche Emblembuch «Mondo Simbolico» im Druck. Verfasser ist der Augustinerabt Filippo Picinelli. Das Werk ist Grundlage des um 1680 entstandenen Zyklus in der
Stuckdecke des Kreuzgangs. Es wird 1678 wird durch den Wettenhausener Chorherrn P. Augustin Erath ins Lateinische übersetzt und mit neuen Illustrationen versehen, deren Rahmenwerk mit den
gleichzeitigen Wettenhausener Stuckaturen und Bildhauerarbeiten übereinstimmt. Das Emblembuch des P. Augustin Erath erscheint in den folgenden Jahren in elf Auflagen, was seine Wichtigkeit
für die barocke Vorliebe für verschlüsselte Sinnbilder zeigt. Der Kreuzgang, aber auch die Sinnbilder in den Gängen der Konventgeschosse legen dafür Zeugnis ab. Die Vorgaben stammen vom Propst
Dionysius und seinem in Wettenhausen wissenschaftlich wirkenden Chorherrn P. Augustin Erath.
Noch vor den einschneidenden Kriegsereignissen des Spanischen Erbfolgekrieges ist Wettenhausen baulich vollendet. Wenig wird im 18. Jahrhundert verändert. Erwähnenswert sind die Neustuckierungen
der Régencezeit im dritten Obergeschoss des Südtraktes und im Prälatenzimmer des ersten Obergeschosses. Einschneidend ist die Neugestaltung der Bibliothek im zweiten Obergeschoss des Südflügels,
einem zweigeschossigen Pendant zum Kaisersaal, die 1795 ausgeführt wird. Noch sind die umlaufenden Emporengalerien mit ihren feinen Stuckmarmorsäulen und auch der Stuck vorhanden, sodass trotz
der 1880 erfolgten Umgestaltung in eine Hauskapelle der klassizistische Bibliotheksaal noch erahnt werden kann. Verschwunden ist allerdings die letzte grosse Freskoarbeit von Johann Baptist
Enderle. Ihr Zustand nach der jahrzehntelangen Vernachlässigung des Gebäudeunterhalts zwischen Säkularisation und dem Einzug der Dominikanerinnen gibt 1883 Anlass zu einer Neuschöpfung im
nazarenischen Stil.